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Warmer Mantel und eierlegende Wollmilchsau

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Warmer Mantel und eierlegende Wollmilchsau

Bei einer Pressekonferenz der Industriellenvereinigung mit Europaministerin Edtstadler wurde über Technologieoffenheit und zukünftige Antriebslösungen diskutiert. Wissen wir nun, was es wird?

Es war ein interessanter Auto-Dienstag, der 23. April 2024. Am Vormittag lud die Industriellen-Vereinigung (IV) zu einer Pressekonferenz zum Thema „Impulse der Automobilindustrie für ein wettbewerbsfähiges Europa“ mit Europa-Ministerin Karoline Edtstadler, gleichzeitig fand in Wien der Elektromobilitäts-Fachkongress El-Motion statt und abends wurde bei Puls4 noch zum Thema E-Auto diskutiert. Zwei Tage später sollte das Wiener Motorensymposium und vor allem die Auto China 2024 in Peking eröffnet werden.

„Es darf keine Denkverbote geben“, forderte Europaministerin Karoline Edtstadler am Vormittag bei der IV: „Die Offenheit gegenüber allen Technologien ist wichtig, um im Wettbewerb der besten Ideen die beste Lösung zu finden.“ Dabei verwies Edtstadler nach einer Journalistenfrage auf die vielfältigen Lösungen, die hier entwickelt werden (gemeint waren die anderen Vortragenden als Vertreter der heimischen Fahrzeugindustrie).

Analysiert man die Aussagen der Repräsentanten, schränkt sich das Bild aber doch sehr ein. Anfangs sei erwähnt, dass kein Redner Zweifel an der Elektrifizierung des Antriebs gelassen hat, hier herrscht also Konsens. „Alle Hersteller setzen auf elektrifizierte Antriebe und bringen immer mehr Zero Emissionen-Fahrzeuge auf die Straße, um die strengen CO2-Vorgaben der EU zu erfüllen“, so Günter Kerle, Vorsitzender des Verbands der Automobilimporteure in der Industriellenvereinigung.

Karl-Heinz Rauscher, Obmann des Fachverbands der Fahrzeugindustrie der Wirtschaftskammer Österreich, sprach die großen Herausforderungen für die heimische Fahrzeugindustrie durch die Transformation an (meinte damit nicht den Verbrennungs-Motor) und forderte weitere Unterstützung durch die Politik.

Auch Josef Honeder, Entwicklungsleiter des BMW Group Standortes Steyr, betonte am Beginn seiner Ausführungen den Fokus auf die Elektromobilität und das hohe Entwicklungspotenzial, das noch darin steckt. Derzeit arbeiten im 700 Personen starken Entwicklungsteam bei BMW Steyr 60% der Mitarbeiter an der Elektromobilität. 2030 sollen es schon 90% sein. Technologieoffen mit klarem Schwerpunkt also.

Welche Lösungen gibt es noch?
Bei der laufenden Forderung nach Technologie-Offenheit muss geklärt werden: Welche Lösungen gibt es noch? Bei der Journalistenfrage nach E-Fuels stellt Günther Kerle für die Automobilimporteure klar, „dass wir das für den Bestand sehen“. Sowohl bei der Autoindustrie wie selbst bei den Förderern steht außer Zweifel, dass E-Fuels noch lange nicht in (auch nur annähernd) ausreichender Menge zu Verfügung stehen werden. 

Prof. Georg Brasseur, einer der größten Befürworter der grünen Moleküle, spricht im Puls4-Diskussions-Format ‚Pro und Contra’ von 20 bis 30 Jahren, bis wir genug E-Fuels hätten (die Beimengung können schon in ein paar Jahren beginnen). Für den Übergang schlägt er vor, den Antriebsstrang zu elektrifizieren und den Strom dafür im Fahrzeug von einem Verbrennungsmotor zu erzeugen. 

Johannes Schmuckenschlager, ÖVP-Klimaschutzsprecher und Präsident der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, sieht – ebenfalls im Puls4-Talk – die CO2-Ziele in 2040 auch bei einer Weiterverwendung von Benzin und Diesel erreichbar, nämlich durch biogene Treibstoffe, analog zur Erhöhung von E5 auf E10. Naja! 

Zurück zur Pressekonferenz, wo ein Journalist die Frage nach HVO (hydrierte Pflanzenöle) stellte, die gerade als klimafreundlicher Ersatz für Diesel in Diskussion sind. Dem erteilte Josef Honeder von BMW – als ganzheitliche Lösung – eine Absage: Dafür habe man zu wenige Altspeisefette. 

Diese Beimischungen, egal ob biogen oder mit synthethischen Kraftstoffen, werden uns – je früher umso besser – helfen, rasch auch den Bestand klimafreundlicher zu betreiben. Eine nachhaltige und moderne Antriebs-Lösung stellen sie nicht dar.

Wasserstoff als eierlegende Wollmilchsau
Bleibt also der Wasserstoff, der auch das Hauptthema der Pressekonferenz war. BMW arbeitet daran und wird – wie Hyundai und Toyota schon vor 10 Jahren – einen H2-Pkw auf die Straße bringen. Die Technologie ist ja vorhanden, es hängt – und das war auch die Einschränkung von Günther Kerle und Josef Honeder – an der Infrastruktur sowie an der Leistbarkeit des Wasserstoffs. Dazu kommt, und das war interessanterweise vor Ort kein Thema, die Verfügbarkeit und die Herstellungsart des Wasserstoffs. Denn aktuell wird Wasserstoff hauptsächlich aus Erdgas gewonnen. Wir brauchen aber grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, damit es klimatechnisch Sinn macht. Es gibt viel zu wenig grauen, und noch so gut wie gar keinen grünen Wasserstoff, wenn auch langfristige Ausbau-Pläne vorhanden sind.

Mittlerweile hat sich Wasserstoff zur eierlegenden Wollmilchsau der Energiewende entwickelt. Für Brennstoffzelle, E-Fuels und HVO beim Antrieb, als Prozesswärme für die Industrie, als Speicher für erneuerbare Energieerzeugung, als Düngemittel für die Landwirtschaft und zuletzt für den Einsatz in der chemischen Industrie: Alle brauchen grünen Wasserstoff.

Dabei ist klar: (grüner) Wasserstoff wird auf lange Zeit Mangelware sein, und das ist keine gute Basis für einen attraktiven Preis. Auch mit der Infrastruktur stehen wir am Anfang, nach zahlreichen Schließungen von Wasserstoff-Tankstellen in mehreren Ländern Europas sind wir sogar weiter vom Ziel entfernt als noch vor ein paar Jahren. In Österreich haben wir derzeit 5.

Auf der Zeitschiene sieht Honeder die Brennstoffzelle beim Pkw daher erst nachdem die Infrastruktur für den H2-Lkw aufgebaut worden ist. (Diese könnte dann auch vom Pkw genutzt werden.) Dabei hat Wasserstoff beim LKW noch eine Entwicklungsreise vor sich, das maximal im Planungsstadium befindliche H2-Tankstellen-Netz für den Fernverkehr wird sich zudem lediglich auf den Hauptverkehrsachsen befinden. Und zudem ist noch nicht geklärt ist, ob beim PKW (gasförmiger Wasserstoff) die gleiche Technologie wie beim LKW umgesetzt wird (manche Hersteller setzen hier auf flüssigen Wasserstoff). Von der Umsetzung der Infrastruktur und der Leistbarkeit des Wasserstoffs stehen also noch einige Fragezeichen.

Sieht man also genauer hin, verliert sich die technologieoffene Diskussion für andere Lösungen – neben der E-Mobilität – in Details, in Unlösbarkeiten und/oder zu langen Zeitschienen.


Warmer Mantel Technologieoffenheit
Dabei ist der Ruf nach Technologieoffenheit lauter denn je. Kein Wunder: Für viele Konsumenten aber auch für die zahlreichen Unternehmen der Kfz-Branche, für Zulieferer, Teilehersteller, Kfz-Betriebe ist der Begriff Technologieoffenheit ein angenehmer warmer Mantel, der vor dem strammen Wind der Transformation schützt. Die Vorstellung von der Technologieoffenheit gibt uns das angenehme Gefühl, dass vielleicht doch alles so bleiben kann, wie es ist. 

Dabei ist der vielzitierte Wettbewerb der Technologien längst entschieden. Die Autohersteller selbst haben gewählt, dass der Weg zur CO2-Neutralität nur mit dem BEV möglich ist. Selbst Politiker müssen verstehen, dass eine Verzettelung, eine breite Verteilung der Investitions- und Innovations-Möglichkeiten nicht zur Technologieführerschaft führen kann. Erinnern Sie sich an die 90% E-Mobilität bei der BMW-Entwicklung in Steyr, am Anfang dieses Textes? 

Alle Autohersteller investieren mittlerweile den größten Teil der (Antriebs-)Entwicklungsbudgets in die Elektromobilität.. Schon alleine, um in China, dem wichtigsten und größten Automobilmarkt der Welt weiter bestehen zu können. Während dieser Kommentar geschrieben wird, sind Journalisten aus aller Welt bei der Eröffnung der Motorshow in Peking. Dort existiert kein Zweifel über die Antriebstechnologie der Zukunft.

Dabei geht längst nicht mehr um einen Wettbewerb der Technologien, es geht in vielen Fällen um eine Verzögerung der E-Mobilität. Es ist nachvollziehbar, dass die Verlierer dieser Entwicklung den Status-quo lange beibehalten möchten. Aber die mangelnde Transformationsgeschwindigkeit in Europa schadet der hier ansässigen Automobilbranche massiv. 

In Europa setzt sich die E-Mobilität – nach China – am zweitschnellsten durch. Die Frage ist lediglich, wer baut, wer verkauft und wer betreut diese Fahrzeuge. Noch sind alle herzlich eingeladen, ihren wärmenden Mantel auszuziehen und an diesem Zukunfts-Wettbewerb teilzunehmen.

Was ist Ihre Meinung? Was setzt sich durch? Und sind wir als Branche gut auf die Transformation vorbereitet?
Schreiben Sie mir! 

Der A&W-Verlag bildet ein breites Meinungsspektrum ab. Kommentare müssen nicht der Meinung des Verlages entsprechen.

 

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