A&W: Herr Schmerold, der ÖAMTC hat sich in den vergangenen Jahren vom Autofahrerclub zum Mobilitätsclub gewandelt. Was waren die wichtigsten Ereignisse?
Dipl.-Ing. Oliver Schmerold: Ich möchte gleich zu Beginn eines betonen: Was auch immer ich im ÖAMTC in dieser Zeit gemacht habe – Ernst Kloboucnik war Mitinitiator, es war immer ein perfektes Teamwork. Daher ist auch die Kontinuität gegeben: Das ist für die Mitarbeitenden ebenso wichtig wie für die Mitglieder. Das hat mir bei meiner Entscheidung, den ÖAMTC zu verlassen, geholfen: Die strukturierte Form, die den Erfolgsweg sicherstellt, bleibt erhalten. Wenn ich hier von der ÖAMTC-Zentrale in Wien-Erdberg aus dem Fenster blicke und den Mobilitätspark mit den Kindern sehe, dann freue ich mich jedes Mal: Denn Mobilität ist mehr als ein Autofahrerclub für Mitglieder.
Das war, als Sie zum Jahreswechsel 2010/11 begonnen haben, wohl noch anders …
Schmerold: Mein Vorgänger (Dkfm. Hans Peter Halouska, Anm.) war lange Generalsekretär, wie die Funktion damals hieß, und es gab eine kurze, kollegiale Übergangsphase: Aber es war von Tag 1 an möglich, meine Ideen einzubringen. Meine Vision war immer ein moderner Mobilitätsclub, der für alle Menschen in Österreich ein Angebot hat. Das haben wir stufenweise entwickelt und mussten alles auch in die Köpfe unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und natürlich auch in jene der Mitglieder – bringen.
Doch Sie waren offenbar sehr konsequent in der Umsetzung!
Schmerold: Wir sind den Weg jeweils mit einer mehrjährigen Strategie gegangen: Was ist das Ziel? Was sind die Maßnahmen, um es zu erreichen? Doch wir haben gemerkt, dass im Club viel Kraft ist und das Momentum in die richtige Richtung geht. Alles rund ums Radfahren ist nur ein Ausschnitt von vielen. Damit meine ich, dass es die Pannenhilfe auch für Radfahrer gibt. Das dauert lange, bis es die Mitglieder wissen. Noch immer ist es nur ein niedriger einstelliger Prozentbereich aller Pannenhilfen, doch wir bekommen sehr viel positives Feedback der Mitglieder.
Dipl.-Ing. Ernst Kloboucnik: Das liegt sicher auch daran, dass die Selbsthilfe beim Fahrrad leichter möglich ist als beim Auto, wo das vor 40 Jahren ja auch noch besser ging als heute. Außerdem gibt es in Österreich mittlerweile ein breites Netz an ÖAMTC-Stationen für Selbsthilfe für Radfahrer.
Schmerold: Ja, es sind mittlerweile mehr als 400 -Stationen, die wir aufgebaut haben.
Was fällt Ihnen spontan noch ein?
Schmerold: Zum Beispiel die Pannenhilfe auf zwei Rädern: Wir haben unsere Mitarbeiter aufs Fahrrad gebracht: Sie helfen natürlich auch Autofahrern. Im Raum Wien gibt es Pannenfahrer, die das begeistert machen und viel positives Feedback bekommen. Allerdings gibt es das nur in Wien im dicht besiedelten Gebiet, weil man eine gewisse Dichte benötigt. Selbst die Landeshauptstädte sind schon zu stark ausgedünnt für solche Einsätze. Wir waren hier Pioniere, mittlerweile gibt es die Pannenhilfe auf zwei Rädern auch in Städten in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz und sogar San Francisco ist unserem Beispiel gefolgt.
Was macht Sie im Bereich Diagnose stolz?
Schmerold: Wichtig war natürlich auch die Modernisierung der Stützpunkte und der Technik: Wir haben Diagnosegeräte, mit denen wir die Fahrzeuge unserer Mitglieder remote betreuen können, obwohl es gegen die Systeme der Hersteller nicht leicht war, eine Lösung für unseren Bereich auf den Markt zu bringen. Aber das war alternativlos, weil wir unseren Mitgliedern ja helfen wollen. Da sind wir noch lange nicht am Ende, da dürfen wir nicht aufhören, weil viele Regulatorien notwendig sind. Aber wir sitzen mit am Tisch und -gestalten es mit.
Der sichtbarste Erfolg ist wahrscheinlich die neue Zentrale in Wien-Erdberg, oder?
Schmerold: Das Mobilitätszentrum war die Idee von Ernst Kloboucnik und mir. Wir brauchten dieses moderne Zentrum in Ostösterreich, und der Bau wurde vom Präsidium genehmigt. Wir sind im ursprünglichen Zeitplan geblieben und haben auch den Budgetplan realisiert. Die Weitsicht und das Vertrauen des -Präsidiums waren extrem wichtig.
Kloboucnik: Wir haben im Osten Österreichs vor 6, 7 Jahren eine Stützpunkt-Offensive begonnen, die im Juni mit der Eröffnung in Melk weitergeht. Im Herbst wird jener in Tulln eröffnet. Das war wichtig, weil es seit der großen Offensive in den 1980er-Jahren zwar viele Erweiterungen gegeben hat, aber die Zahl der Mitglieder seither stark gestiegen ist. Die Stützpunkte haben nicht immer den heutigen technischen Ansprüchen genügt. Heute haben wir in ganz Österreich 115 Stützpunkte und die Offensive ist noch nicht abgeschlossen. Da der ÖAMTC föderal organisiert ist, ist jedes Bundesland selbst für seine Stützpunkte verantwortlich. Einige haben schon früher begonnen: Das architektonische Grundkonzept haben wir aus Oberösterreich übernommen, aber den Holzanteil weiter erhöht: Nun ist die komplette Tragwerk-Konstruktion aus Holz.
Wie hat sich die Zahl der Mitglieder in den vergangenen 15 Jahren entwickelt?
Schmerold: Als ich begonnen habe, waren es rund 1,7 Millionen, jetzt ist diese Zahl auf 2,5 Millionen gestiegen. Dazu kommen noch über 700.000, die als Kinder und Jugendliche Mitglied sind, aber nichts zahlen. In Wien haben wir trotz sinkender Pkw-Zahlen Wachstum durch die breitere Aufstellung als Mobilitätsclub.
Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten nach oben?
Schmerold: Wir haben dazu 2 Maßzahlen: Zum einen die Zahl der in Österreich zugelassenen Pkws. Und außerdem die Zahl der Haushalte. Beide liegen in Österreich in der Gegend von 5,5 bis 6 Millionen.
Kloboucnik: Wir haben den Anspruch, 50 Prozent bei allen zu haben. Das heißt, 3 Millionen Mitglieder sind das Ziel. Diese Wachstumszahl ist Grundlage für die Strategie 2030, die wir unverändert weiterführen wollen. Dazu gehört auch, was wir vorhin besprochen haben, die Ausweitung der Dienstleistung auf alle Mobilitätsbereiche. Wir wollen als Organisation relevant sein für die Mitglieder und alle, die es noch werden wollen.
Was wird sich in den kommenden Jahren ändern?
Kloboucnik: Ich möchte sagen, dass die Zusammenarbeit mit Oliver Schmerold eine der spannendsten Zeiten war. Als ich vor mehr als 30 Jahren eingestiegen bin, war der ÖAMTC stark aufs Auto konzentriert, auch wenn wir sehr früh andere Bereiche ebenfalls abgedeckt -haben, etwa die Solarfahrzeuge und zusammen mit Denzel das Projekt Carsharing.at. Da waren wir definitiv zu früh dran. Wir waren als Organisation immer am Mobilitätsbedürfnis orientiert und haben alles oft aktiv gestaltet, nicht hinterher angepasst. Es ist uns gelungen, unsere Bekanntheit noch weiter zu stärken, ohne die angestammten Leistungen zu reduzieren. Es war immer ein Sowohl-als-auch und nicht ein Entweder-oder. So soll es bleiben: Auch wenn wir die Elektromobilität weiter stark unterstützen, ist es nicht der einzige Ansatz. Ich glaube, dass die ehrgeizigen Umweltziele nicht nur mit Elektromobilität allein zu erreichen sind. Wir vertreten eine so große Zahl an Mitgliedern, dass es eine Meinung unserer Mitglieder nicht gibt.